In Walt Whitmans Schaffen spielte Amerika immer die Hauptrolle. Die USA sind das Motiv zahlreicher Werke des Dichters und Philosophen, oft in Verbindung mit Begriffen wie Natur und Demokratie. Dass Walt Whitman, obwohl weltweit wegen seines literarischen Beitrags anerkannt und geschätzt, es trotzdem nie so ganz zum amerikanischen Nationaldichter geschafft hat, liegt wohl auch an seinem Aufsehen erregenden Lebenswandel, der oft gar nicht den Erwartungen seiner Zeitgenossen entsprach.

Walt Whitman wurde am 31. Mai 1819 als zweites von neun Kindern der Familie auf Long Island, New York, geboren. Über die Eltern ist wenig bekannt, außer dass der Vater Zimmermann war, beide Eltern der Religionsgemeinschaft der Quäker angehörten und dass es in der Familie häufig finanzielle Probleme und damit verbunden häufige Umzüge gegeben hat. Das war auch mit ein Grund dafür, dass Walt seine Schulausbildung bereits mit elf Jahren beendete und ins Berufsleben einstieg. Bei einer kleinen Lokalzeitung, für deren Herausgeber er als Bürobote arbeitete, kam er erstmals in Kontakt mit dem Druckwesen und dieses Gewerbe begann ihn zu interessieren; so sehr sogar, dass er mit 12 Jahren allein in Brooklyn zurückblieb, als seine Familie zurück auf Long Island zog, denn hier hatte er inzwischen einen einigermaßen festen Job bei einer Wochenzeitung gefunden.

Die Beschäftigung mit Wörtern und Buchstaben weckte wohl das literarische Interesse Whitmans. Nach der Arbeitszeit wurde er jetzt oft in der städtischen Bücherei oder bei Theateraufführungen gesehen. Bald darauf ging es jedoch wirtschaftlich bergab, Whitman fand keinen ausreichend dotierten Job mehr und zog schließlich zurück zu seiner Familie nach Long Island, wo er zwei Jahre lang als Lehrer arbeitete. Da ihn dies aber nicht ausfüllen konnte, beschloss er 1838, seine eigene Zeitung zu gründen. Für den Long Islander fungierte er als Autor, Herausgeber und sogar als Zusteller – das Ganze offenbar so erfolgreich, dass er das Unternehmen nur ein Jahr später an einen anderen Verleger verkaufen konnte. Aus den folgenden Jahren, während Whitman zwischen Jobs in Verlagen und Schulen hin und her wechselte, sind seine ersten literarischen Versuche bekannt. Seine Notizen “vom Schreibtisch eines Schulleiters” wurden in drei verschiedenen Zeitungen veröffentlicht. Von da an veröffentlichte er regelmäßig, wenn auch in unterschiedlichen Positionen.



Aus dem Jahr 1858 stammt sein Werk “Manly Health and Training” (männliche Gesundheit und Training), das Whitman unter einem Pseudonym in mehreren Teilen veröffentlichte. Dieser erste literarische Ausflug in die Welt alternativer Lebensweisen war für die damalige Zeit radikal und hat auf einige Leser vermutlich verstörend gewirkt. Vom nackten Sonnenbaden war da die Rede, von einer hauptsächlich aus Fleisch bestehenden Ernährung und davon, dass das Tragen von Bärten gesund sei. Obwohl das Werk damals nicht allzu viel Beachtung fand, dient es heute als früher Beleg dafür, dass Whitman wenig Interesse daran hatte, seinen Lebensstil an die gesellschaftlichen Konventionen anzupassen.

Vieles von dem, was über Walt Whitmans Privatleben bekannt ist, hat sich aus Schlussfolgerungen und Beobachtungen ergeben und ist zum Teil umstritten. Whitman hat Zeit seines Lebens nicht geheiratet und obwohl zahlreiche seiner Gedichte gespickt waren mit Beschreibungen sexueller Leidenschaft, gab es nur wenige Frauen in seinem Leben, denen er näher gekommen ist. Stattdessen gibt es viele Hinweise darauf, dass er sexuelle Beziehungen zu Männern unterhielt, was in damaligen Zeiten natürlich nicht öffentlich gemacht werden konnte. Man vermutet, dass er über viele Jahre eine Beziehung mit dem Straßenbahnfahrer Peter Doyle führte, den er 1866 kennengelernt hatte.

Schon drei Jahre vor “Manly Health” war die erste Version von “Leaves of Grass” (Grashalme) im Eigenverlag erschienen, eine Sammlung von Gedichten, an denen Walt Whitman fast bis zum Ende seines Lebens weiterarbeiten sollte. “Leaves of Grass”, das es in mehreren, stark unterschiedlichen Varianten gibt, gilt als das Hauptwerk des Dichters und seine erste Edition markiert den Wechsel Whitmans hin zur Lyrik. Die Sammlung, deren einzelne Gedichte kaum miteinander in Verbindung stehen, wurden inspiriert durch einen Essay von Ralph Waldo Emerson von 1844. Emerson, ein Freund Whitmans, hatte darin die These aufgestellt, dass Amerika einen neuen Dichter brauche, der das Land beschreiben könne. Der Titel der Kollektion ist ein Wortspiel, denn Verleger bezeichneten Literatur von geringem Wert gelegentlich als “Gras”. Whitmans Gedichte aber kamen bereits in ihrer Erstausgabe gut an, auch bei Emerson, der den Autor ausdrücklich für seine kraftvollen Worte lobte. Über die Jahre wandelte sich “Leaves of Grass” nachhaltig. Es änderte sich nicht nur vom Umfang her – aus den anfänglich 12 Gedichten waren in der letzten Ausgabe fast 400 geworden – sondern auch inhaltlich. Zwar stand durchgängig Amerika im Mittelpunkt des Werks; die Menschen, Persönlichkeiten, gemeinsamen Werte und Ideen, doch Whitman scheute auch nicht davor, erotische Begebenheiten und Empfindungen ausführlich zu beschreiben – damals ein mittelschwerer Skandal, der zeitweise zu Zensur und oft zu erzürnten Reaktionen führte. Den Job im Innenministerium, den Whitman später anstrebte, bekam er jedenfalls auf Grund dieses Werkes nicht.


Abbildung Whitmans in der Erstausgabe von Leaves of Grass


Der amerikanische Bürgerkrieg sorgte dafür, dass Walt Whitman eine neue Perspektive auf das Land kennenlernte, das er zum Leitmotiv seiner Arbeit gemacht hatte. Als außenstehender Beobachter veröffentlichte er zuerst Gedichte, in denen die militärische Stärke der Union gepriesen wurde. Doch wenig später stand zu befürchten, dass Walts Bruder George im Kampf gefallen war und Whitman begab sich auf eine harte Reise zu den Schlachtfeldern im Süden, wo er den Bruder zwar unversehrt fand, wo er aber auch aus erster Hand mit den Grausamkeiten des Krieges konfrontiert wurde. Unter diesen Eindrücken ging er nach Washington, DC wo er freiwillig als Pfleger in einem Militärkrankenhaus arbeitete. Auch diese Erlebnisse werden in späteren Werken Whitmans reflektiert, ebenso wie die in den nächsten Jahren folgenden Einschnitte. Im Jahr 1864 verlor Whitman zwei seiner Brüder – George starb im Krieg und Andrew an Tuberkulose – und im Jahr darauf wurde Abraham Lincoln ermordet, woraufhin Whitman “O Captain! My Captain” verfasste.

Das Gedicht steigerte Whitmans Bekanntheit nachhaltig. Doch der Ruhm reichte nicht, um den Lebensunterhalt zu verdienen und so setzte sich die lange Reihe von Jobs in Walt Whitmans Biografie weiter fort. Im Büro des Generalstaatsanwalts war er zuständig dafür, die Gnadenersuche ehemaliger Soldaten der Konföderation zu bewerten. In der Zwischenzeit aber wurde sein Name immer bekannter; mittlerweile waren die “Leaves of Grass” auch in England mit großem Erfolg veröffentlicht worden.

1873 erlitt Whitman einen Schlaganfall, wodurch er nicht mehr arbeiten konnte. Er zog zu seinem Bruder nach Camden in New Jersey, wo auch die Mutter lebte, die ebenfalls schwer krank war und bald darauf verstarb. Die ganze Situation setzte Whitman so zu, dass er depressiv wurde. Trotzdem arbeitete er weiter an seinen Gedichten, empfing Besucher wie Oscar Wilde und sorgte für sich selbst. Als der Bruder berufsbedingt umziehen musste, kaufte Whitman ein Haus in Camden, doch bald wurde er bettlägerig, so dass eine Vertraute, Mary Oakes Davis, zu ihm zog, um ihn pflegen zu können. Trotz der Einschränkungen in Folge des Schlaganfalls schrieb Whitman weiter und brachte neue Versionen seiner Gedichtsammlung heraus. Er fand Gefallen an einer Gegend im Süden New Jerseys, wo er während der Sommer viel Zeit verbrachte und die ihn literarisch inspirierte – in seinem Werk “Specimen Days” finden sich Beschreibungen dieser Region.

Ende 1891 stellte Whitman wieder einmal eine Version von “Leaves of Grass” fertig. “Nach 33 Jahren daran herumkritzeln, zu allen Zeiten und Stimmungen meines Lebens, bei gutem Wetter und bei schlechtem, in allen Teilen des Landes, in Krieg und Frieden, jung und alt” sei das Werk endlich fertig geworden, schrieb er. Er fühlte den nahenden Tod, gab sein eigenes Mausoleum in Auftrag und schaute sogar bei den Arbeiten daran zu. Walt Whitman starb am 26. März 1892, sein Körper am Ende so geschwächt, dass er den Stift nicht mehr halten konnte. Er liegt auf dem Harleigh Cemetery in Camden begraben.


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