Es gibt kein anderes Thema, das in den USA so sehr ein politischer Dauerbrenner ist wie die Frage nach dem Recht auf Abtreibung. Seit Jahrzehnten wird erbittert und mit unversöhnlichen Positionen über die Abtreibung gestritten und dieser Streit verläuft fast ausschließlich entlang der ideologischen Linien der Parteien. Während die Demokraten ein grundsätzliches Recht auf Abtreibung fordern, welches dann in genaueren Bestimmungen reglementiert werden kann, ist es bei den Republikanern in den meisten Fällen umgekehrt. Dort herrscht die Meinung vor, dass eine Abtreibung – wenn überhaupt – nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein sollte. Bei den Gegnern der Abtreibung spielen dabei in der Regel religiöse Überlegungen eine Rolle; in diesem Zusammenhang wird mit dem Verbot des Tötens argumentiert.

Im Juni 2022 erklärte der Supreme Court das bis dahin fast 50 Jahre gültige, landesweite Recht auf Abtreibung für nicht verfassungsgemäß. In der Folge oblag es den einzelnen Bundesstaaten, die Abtreibung gesetzlich zu reglementieren. Das eröffnet diesen die Möglichkeit, die Abtreibung je nach Gesinnung der jeweiligen Regierung zu erlauben oder zu verbieten.

Geschichte der Abtreibung in den USA

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war die Abtreibung in den USA fast gar nicht geregelt. Generell galt, dass Abtreibungen bis zum Zeitpunkt der Bewegung des Fötus im Mutterleib vorgenommen wurde. Neue medizinische Erkenntnisse zeigten jedoch, dass dieser Zeitpunkt keinen entscheidenden Punkt in der Entwicklung des ungeborenen Lebens darstellt. Ab 1821 wurden die Gesetze schärfer definiert, die Abtreibung nach dem Zeitpunkt der Bewegung wurde damit in den meisten Bundesstaaten illegal. In der Folge wurden die Regelungen zunehmend detaillierter und schärfer, doch obwohl eine Abtreibung um 1900 grundsätzlich überall im Land nicht gestattet war, wurden trotzdem jährlich tausende vorgenommen. Da diese in vielen Fällen rechtlich nicht erlaubt waren, unterlagen sie auch keiner Aufsicht und für die betroffenen Frauen bestand so gut wie kein Schutz. Mitte des 20. Jahrhunderts war die Abtreibung in 30 Bundesstaaten komplett verboten, die anderen erlaubten sie nur bei Indikatoren wie einer gesundheitlichen Gefahr für die Mutter, zu befürchtenden Behinderungen des Kindes oder im Falle einer Vergewaltigung. Das führte dazu, dass in vielen Fällen eine Abtreibung für amerikanische Frauen nur möglich war, wenn sie sich eine Reise zu einem Arzt im Ausland leisten konnten.

Der Wendepunkt: Roe v. Wade

Ab den 1960er Jahren wandelte sich die öffentliche Einstellung zum Thema. Zum Teil war das einer generell progressiveren Atmosphäre zu verdanken, zum Teil aber auch der Tatsache, dass Fälle landesweit bekannt wurden, in denen verzweifelte Frauen bei einer illegalen Abtreibung ums Leben kamen. Der Bundesstaat Hawaii wurde 1970 der erste, der Abtreibungen auf Antrag der Frau legalisierte, andere lockerten die Gesetze in den Folgejahren ebenfalls. Dennoch blieben im größten Teil des Landes Abtreibungen weiter illegal.

Norma McCorvey war 21 Jahre alt, als sie im Jahr 1969 zum dritten Mal schwanger wurde. Nachdem sie bereits die beiden anderen Kinder hatte abgeben müssen, wollte sie eine Abtreibung, die in ihrem Heimatstaat Texas aber nicht erlaubt war. Ihre Anwältinnen reichten unter Verwendung des Pseudonyms Jane Roe für ihre Mandantin Klage gegen den zuständigen Bezirksstaatsanwalt Henry Wade ein und bekamen Recht. Der Fall landete danach vor dem Supreme Court. In dessen Urteil vom 22. Januar 1973 hielten die Richter fest, dass ein Verbot von Abtreibungen gegen den 14. Zusatzartikel der Verfassung und damit gegen die Persönlichkeitsrechte, genauer gegen das Recht auf Selbstbestimmung verstoßen würde. Mit dem Urteil gaben die Richter landesweit Frauen das Recht, selbst über eine Abtreibung zu entscheiden. Auch wenn die rechtliche Begründung von Anfang an juristisch umstritten war, behielt es doch über fast Jahrzehnte Bestand und wurde vom Supreme Court im Jahr 1992 noch einmal bestätigt.

Von Roe v. Wade bis Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization

Trotz des mit 7:2 Stimmen deutlich ausgefallenen Urteils in Roe v. Wade blieb das Thema immer Gegenstand erbitterter Debatten. So gut wie jeder, der sich für ein politisches Amt in den USA bewarb, musste zu dem Thema Stellung beziehen, insbesondere galt das für Richter. Auch in der Bevölkerung war die Abtreibung immer wieder Thema. Sowohl die Verfechter der Freigabe („pro choice“) als auch die Gegner („pro life“) organisieren häufig Demonstrationen und Veranstaltungen. Die Fronten waren dabei sogar so verhärtet, dass es immer wieder zu Anschlägen auf Abtreibungskliniken und Ärzte kam. Laut der New York Times kam es zwischen 1978 und 1993 zu mehr als hundert Bombenanschlägen und Brandstiftungen an Abtreibungskliniken, zudem sind mehrere Mitarbeiter solcher Kliniken wegen ihrer Tätigkeit ermordet worden. Hinzu kamen Gesetze, die von republikanisch regierten Bundesstaaten erlassen worden und die zusätzliche Hürden setzten, bevor eine Abtreibung vorgenommen werden konnte. Die auch aus solchen Gründen immer geringer werdende Zahl von Fachkliniken, die Abtreibungen vornahmen, sorgte schon vor der Aufhebung von Roe v. Wade dafür, dass Frauen in einigen Bundesstaaten erhebliche Probleme hatten, eine sichere Abtreibung vornehmen zu lassen.

Während der Amtszeit von Donald Trump ergab sich für den republikanischen Amtsinhaber die Gelegenheit, gleich drei der neun Richterstellen am Supreme Court neu zu besetzen. Die Positionen wurden mit zwei Richtern und einer Richterin besetzt, die als ausgesprochen konservativ gelten. In diesem Rahmen zeichnete sich bereits ab, dass die Rechtsprechung der USA für mehrere Jahre weiter nach rechts rücken würde und dass auch die Abtreibung wieder zum Thema werden würde.

Im Jahr 2018 verabschiedete der streng republikanische Bundesstaat Mississippi ein Gesetz, das Abtreibungen nach der 15. Woche der Schwangerschaft verbot. Die einzige in Mississippi verbliebene Klink, an der eine Abtreibung noch möglich war, die Jackson Women’s Health Organization, reichte nach der Verabschiedung des Gesetzes Klage gegen Thomas E. Dobbs, einen leitenden Angestellten des Gesundheitsministeriums des Bundesstaats, ein, weil sie damit das Recht auf Abtreibungen nach Roe v. Wade und der geltenden Rechtsprechung verletzt sah. Ein Bezirksgericht gab der Klinik Recht und setzte das Gesetz Mississippis damit außer Kraft, eine Berufung scheiterte ebenfalls. Im Juni 2020 reichte der Bundesstaat dann Berufung vor dem Supreme Court ein. Nach Einholung von mehr als 140 Expertenmeinungen und zahlreichen internen Konferenzen nahm das Oberste Gericht den Fall an, die mündliche Verhandlung erfolgte im Dezember 2021. Am 24. Juni 2022 sprach das Gericht sein Urteil, wonach die Verfassung der USA grundsätzlich nicht das Recht auf eine Abtreibung enthält. Damit wurde Roe v. Wade als landesweite Regelung außer Kraft gesetzt und das Recht zur Regulierung der Abtreibung zurück an die Bundesstaaten verwiesen. Unmittelbar nach dem Urteil wurde die Abtreibung in 15 Bundesstaaten grundsätzlich verboten, mit Ausnahmen bei einer Gefährdung der Gesundheit der Mutter, nicht aber zum Beispiel im Fall von Vergewaltigungen. Weitere Bundesstaaten werden in der Folge ähnliche Verbote erlassen.