Einen längeren Anlauf ins Präsidentenamt als Joe Biden hatte wohl selten ein amerikanischer Politiker. Im November 2020 wurde Joe Biden zum 46. Präsidenten des Landes gewählt und das, nachdem er bereits fast fünf Jahrzehnte lang in Washingtons Politikbetrieb aktiv war. In gewisser Hinsicht ist seine politische Karriere beispielhaft, vom Senator zum Vize-Präsidenten zum Präsidenten. Ein genauerer Blick zeigt dagegen, dass sie immer wieder durch schwere Schicksalsschläge zurückgeworfen wurde. Am Ende haben diese Rückschläge wohl mit dazu beigetragen, dass Biden letztlich zum Präsidenten gewählt wurde, denn sie haben ihn verständnisvoller und nahbarer gemacht, was vielen Wählern sympathisch erschien.

Joseph Robinette Biden Jr. wurde am 20. November 1942 in Scranton im Bundesstaat Pennsylvania geworden. Seinen Namen bekam er vom Vater, Joseph Robinette Sr., der ebenso wie Mutter Jean irische Wurzeln hatte. Die Biden-Familie war zum Zeitpunkt von Joes Geburt zwar nicht so arm wie viele andere Familien in jener Zeit, aber auch nicht wohlhabend, denn der Vater suchte lange vergeblich nach einem dauerhaften Job. So lebte die Familie mehrere Jahre im Haus der Großaltern mütterlicherseits. Es war also eine recht durchschnittliche Umgebung, in der Joe Biden seine ersten Jahre verbrachte. Später kamen noch Geschwister dazu. Bidens Schwester Valerie ist Politikberaterin und unterstützte den Bruder im Wahlkampf 2020. Sein Bruder Francis arbeitet als Anwalt in Florida, der andere Bruder, James, als Fonds-Manager in New York.

Als Joe Biden zehn Jahre alt war, zog die Familie nach Delaware um, wo er bis heute seinen Haupt-Wohnsitz hat. Hier fand der Vater eine Arbeitsstelle als Verkäufer von Gebrauchtwagen, während Joe sich trotz mäßiger schulischer Leistungen für das College qualifizierte. Nach dem Besuch der Archmere Academy in seinem Heimatort Claymont wechselte er an die University of Delaware, die er 1965 mit einem Bachelor-Titel in den Fächern Geschichte und Politikwissenschaften verließ. Auch an den Hochschulen waren Joe Bidens akademische Leistungen alles andere als beeindruckend, er machte das aber mit sportlichen Erfolgen wieder wett. Joe spielte Football und Baseball. Wahrscheinlich half ihm die Anerkennung als Sportler auch dabei, das Manko zu überkommen, das ihn seit der Kindheit begleitet, das Stottern. Biden selbst erzählt heute gelegentlich die Geschichte, wie er das Stottern mit dem Rezitieren von Gedichten in den Griff bekommen hat. In seinen Redemanuskripten werden kleine Markierungen an die Stellen gesetzt, an denen er beim Sprechen eine Pause machen kann, damit er nicht ins Stottern gerät. Das Wissen um seine eigenen Schwächen aber könnte durchaus ein Element der großen Empathie sein, für die Biden bekannt und anerkannt ist.



Doch diese Empathie hat noch viel tiefere Ursachen, die Joe Bidens Persönlichkeit nachhaltig geprägt haben. Im November 1972 hatte er dem republikanischen Amtsinhaber völlig überraschend einen von zwei Sitzen für Delaware im Senat abgenommen und stand vor dem Beginn einer politischen Karriere im nationalen Rampenlicht. Nur sechs Wochen nach der Wahl, dem bisher größten Triumph Bidens, wurde das Auto seiner Frau Neilia von einem LKW erfasst. Neilia und die einjährige Tochter Naomi starben an den Folgen des Unfalls, die beiden Söhne Hunter und Beau kamen mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Joe Biden wollte eigentlich von seinem Sitz im Senat zurücktreten, um für seine Söhne da sein zu können, doch der demokratische Mehrheitsführer Mike Mansfield überredete ihn dazu, das Amt dennoch zu übernehmen. Biden sagte schließlich zu, versprach den Söhnen aber, abends immer zuhause zu sein. Jeden Morgen fuhr er fortan mit dem Zug von Wilmington nach Washington DC und abends wieder zurück, was für jeden Weg eine Reise von 90 Minuten bedeutete. Dies behielt er 36 Jahre lang bei, denn aus dem sechstjüngsten Senator der US-Geschichte wurde einer der Volksvertreter mit der längsten Amtszeit, der sieben Wahlen nacheinander gewann.

Joe Biden war nicht von Beginn an ein überzeugter Demokrat. Von der Zeit nach dem Studium ist bekannt, dass Biden sich selbst eher als Republikaner betrachtete. Als die Partei ihn für sich gewinnen wollte, entschied er sich aber doch dafür, sich als parteiunabhängig ins Wahlregister eintragen zu lassen, weil er den republikanischen Präsidenten Nixon nicht mochte. 1969 wurde er als Demokrat in den County Council des New Castle County in Delaware gewählt. Bei seinem Erfolg bei den Senatswahlen 1972, als er mit riesigem Engagement und echtem Tür-zu-Tür-Wahlkampf einen gewaltigen Vorsprung des republikanischen Amtsinhaber aufholte, trat sein Wahlprogramm für besseren Umweltschutz, für eine Stärkung der Bürgerrechte, für eine Verbesserung des Gesundheitswesens und für den Abzug aus Vietnam ein.

Tatsächlich war der Umweltschutz von Beginn seiner Senatslaufbahn an ein wichtiges Thema für Joe Biden – im Amerika der 1970er Jahre keine Selbstverständlichkeit. Während seiner Zeit im Senat insgesamt allerdings kann man Biden nicht als lupenreinen Vertreter demokratischer Positionen beschreiben. Zwar trat er für die SALT-Verträge mit Russland und den Rüstungsabbau ein, ebenso wie für die Beschränkung des Verkaufs von halbautomatischen Waffen und die Einbindung der USA in internationale Abkommen und Organisationen. Andererseits beschrieb er sich selbst damals als konservativ in einigen Themenbereichen, zum Beispiel bei der Abtreibung. Im Jahr 1993 schloss sich Joe Biden einem Gesetzesvorschlag an, der Homosexuellen den Zugang zum Militär verbot, 1996 stimmte er gegen eine staatliche Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften und 1994 trieb er einen Gesetzesvorschlag für eine Verschärfung des Kriminalrechts ein, in dessen Folge überdurchschnittlich viele Menschen ins Gefängnis kamen.

Was Joe Biden aber immer auszeichnete ist, dass er in der Lage ist, sich selbst zu hinterfragen. Gerade die Strafrechtsreform sieht er heute kritisch und bedauert sein Engagement dafür und ihm nimmt man auch ab, dass er das nicht nur sagt, um bei den heutigen Wählern anzukommen. Biden ist nicht festgefahren in seinen Einstellungen, nicht dogmatisch und er galt während seiner gesamten Zeit im Senat als jemand, der auch mit den Republikanern gut zusammenarbeiten und Kompromisse finden konnte.



Im Juni 1987 erklärte Joe Biden seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 1988. Die Kampagne stand jedoch unter keinem guten Stern. Biden sah sich bald mehreren Plagiatsvorwürfen ausgesetzt, weil er in Reden Passagen von Reden anderer Politiker übernommen hatte. Als sich dann auch noch Angaben aus seiner Biografie als unwahr oder übertrieben herausstellten, zog er die Konsequenzen und beendete die Kandidatur nach nur drei Monaten.

Nach diesem Rückschlag fokussierte sich Biden wieder auf seine Arbeit im Senat, wo er in der Folge eine immer profiliertere Rolle einnahm. Als eines der Spitzenmitglieder im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten brachte er die NATO-Aktion zur Unterstützung der bosnischen Muslime voran und trug zur Initiative der Clinton-Regierung im Nordirland-Konflikt bei. Er gehörte zu den Unterstützern des Kriegs in Afghanistan und des Einmarschs im Irak. Mit dem schärferen öffentlichen Profil und dem gestiegenen Bekanntheitsgrad im Rücken, wagte Joe Biden einen neuen Anlauf auf das Präsidentenamt. Im Januar 2007 erklärte er seine Kandidatur, doch gegen die starken Kampagnen von Barack Obama und Hillary Clinton hatte er keine Chance. Nach einer deutlichen Niederlage bei den ersten Vorwahlen in Iowa zog er sich aus dem Rennen zurück. Schon kurz darauf bot Obama ihm einen wichtigen Platz in einer möglichen Regierung unter seiner Leitung an. Biden war zunächst zurückhaltend und willigte erst ein, als Kandidat für die Vize-Präsidentschaft einzusteigen, als sich zwischen den beiden eine engere persönliche Beziehung entwickelt hatte.

In der Zeit der Vize-Präsidentschaft übernahm Joe Biden viele wichtige Rollen und war öffentlich und politisch präsenter als viele seiner Vorgänger in diesem Amt. So reiste er während der Amtszeit insgesamt neunmal in den Irak, stand an der Spitze der Umsetzung der Stimulus-Programme in Reaktion auf die Finanzkrise und übernahm die Verhandlungen mit dem republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, zur Anhebung der Schuldengrenze im Jahr 2011. Während Obamas zweiter Amtszeit trat Biden in der Tagespolitik etwas mehr in den Hintergrund, übernahm aber weiterhin diplomatische Reisen, etwa nach Serbien und in den Kosovo.

Im Mai 2015 starb Joe Bidens Sohn Beau an einem Gehirntumor. Der schwere Schicksalsschlag war ein wichtiger Faktor in seiner Entscheidung, nicht für 2016 als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Er unterstützte Hillary Clinton in ihrem Wahlkampf aber nach Kräften und kritisierte den republikanischen Gegner Donald Trump mit teilweise sehr markigen Worten. Auch nach dem Abschied aus dem Weißen Haus ging er immer wieder mit scharfen Worten gegen Trump an die Öffentlichkeit. Er übernahm eine Stelle als Professor an der University of Pennsylvania und hielt sich bei Fragen nach einer möglichen Kandidatur für 2020 weitgehend zurück.

In einem Wahlkampf, der von heftigen Auswirkungen der Corona-Pandemie, von Verschwörungstheorien, einer tiefen Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft und scharfen persönlichen Angriffen geprägt war, setzte sich Joe Biden letztlich gegen Donald Trump durch und wurde im Januar 2021, nach der Erstürmung des Capitols durch Trump-Anhänger, zum 46. Präsidenten der USA vereidigt.